Elektra
Tragödie in einem Aufzug
Hugo von Hoffmanstahl
Schauplatz der Handlung: Mykene
Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen, links vorne. Aufseherinnen unter ihnen.
I. Magd ihr Wassergefäss aufhebend:
Wo bleibt Elektra?
II. Magd
Ist doch ihre Stunde,
die Stunde, wo sie um den Vater heult,
dass alle Wände schallen.
Elektra kommt aus der schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen sich nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen Schlupfwinkel, den einen Arm vor dem Gesicht.
I. Magd
Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah?
II. Magd
Giftig
wie eine wilde Katze.
III. Magd
Neulich lag sie
da und stöhnte --
I. Magd
Immer, wenn die Sonne tief steht,
liegt sie und stöhnt.
III. Magd
Da gingen wir zuzweit
und kamen ihr zu nah --
I. Magd
sie hält's nicht aus,
wenn man sie ansieht.
III. Magd
Ja, wir kamen ihr
zu nah. Da pfauchte sie wie eine katze
uns an. "Fort, Fliegen!", schrie sie, "fort!"
IV. Magd
"Schmeissfliegen, fort!"
III. Magd
"Sitzt nicht auf meinen Wunden!"
und schlug nach uns mit einem Strohwisch.
IV. Magd
Schmeissfliegen, fort!"
III. Magd
"Ihr sollt das Süsse nicht
abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen
nach meiner Krämpfe Schaum."
IV. Magd
"Geht ab, verkriecht euch,"
schrie sie uns nach. "Esst Fettes, und esst Süsses
und geht zu Bett mit euren Männern" schrie sie,
und die --
III. Magd
ich war nicht faul --
IV. Magd
die gab ihr Antwort!
III. Magd
Ja: "wenn du hungrig bist," gab ich zur Antwort,
"so isst du auch," da sprang sie auf und schoss
grässliche Blicke, reckte ihre Finger
wie Krallen gegen uns und schrie: "Ich füttre
mir einen Geier auf im Leib."
II. Magd
Und du?
III. Magd
"Drum hockst du immerfort," gab ich
zurück, "wo Aasgeruch dich hält und scharrst
nach einer alten Leiche!"
II. Magd
Und was sagte
sie da?
III. Magd
Sie heulte nur und warf sich
in ihren Winkel.
I. Magd
Dass die Königin
solch einen Dämon frei in Haus und Hof
sein Wesen treiben lässt.
II. Magd
Das eigne Kind!
I. Magd
Wär' sie mein Kind, ich hielte, ich -- bei Gott! --
sie unter Schloss und Riegel.
IV. Magd
Sind sie dir
nicht hart genug mit ihr? Setzt man ihr nicht
den Napf mit Essen zu den Hunden?
Hast du
den Herrn nie sie schlagen sehn?
V. Magd ganz jung, mit zitternder erregter Stimme:
Ich will
vor ihr mich niederwerfen und die Füsse
ihr küssen. Ist sie nicht ein Königskind
und duldet solche Schmach! Ich will die Füsse
ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen.
Die Aufseherin
Hinein mit dir! Stösst sie
V. Magd
Es gibt nichts auf der Welt,
das königlicher ist als sie. Sie liegt
in Lumpen auf der Schwelle, aber niemand,
niemand ist hier im Haus, der ihren Blick
aushält!
Die Aufseherin
Hinein!
Stösst sie in die offene niedrige Tür links vorne
V. Magd in die Tür geklemmt
Ihr alle seid nicht wert,
die Luft zu atmen, die sie atmet! O,
könnt' ich euch alle, euch, erhängt am Halse,
in einer Scheuer Dunkel hängen sehn
um dessen willen, was ihr an Elektra
getan!
Die Aufseherin schlägt die Tür zu
Hört ihr das? wir, an Elektra!
die ihren Napf von unserm Tische stiess,
als man mit uns sie essen hiess, die ausspie
vor uns und Hündinnen uns nannte.
I. Magd
Was?
Sie sagte: keinen Hund kann man erniedern,
wozu man uns hat abgerichtet: dass wir
mit Wasser und mit immer frischem Wasser
das ewige Blut des Mordes von der Diele
abspülen --
III. Magd
und die Schmach, so sagte sie,
die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut,
in Winkel fegen...
I. Magd
unser Leib, so schreit sie,
starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind!
Die Mägde tragen die Gefässe ins Haus links
Die Aufseherin die ihnen die Tür aufgemacht
Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht,
so schreit sie: nichts kann so verflucht sein, nichts,
als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe
im Blute glitschernd, hier in diesem Haus
empfangen und geboren haben. Sagt sie
das oder nicht?
Die Dienerinnen im Abgehen
Ja! ja!
Die Aufseherin
Sagt sie das oder nicht?
Die Dienerinnen Alle schon drinnen
Ja, ja.
Die Eine innen
Sie schlagen mich!
Die Aufseherin geht hinein. Die Tür fällt zu Elektra tritt aus dem Hause.
Elektra
Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort,
hinabgescheucht in seine kalten Klüfte.
gegen den Boden
Agamemnon! Agamemnon!
Wo bist du, Vater? Hast du nicht die Kraft,
dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?
Es ist die Stunde, unsre Stunde ist's!
Die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,
dein Weib und der mit ihr in einem Bette,
in deinem königlichen Bette schläft.
Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut
rann über deine Augen, und das Bad
dampfte von deinem Blut, da nahm er dich,
der Feige, bei den Schultern, zerrte dich
hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus,
die Beine schleifend hinterher: dein Auge,
das starre, offne, sah herein ins Haus.
So kommst du wieder, setzest Fuss vor Fuss
und stehst auf einmal da, die beiden Augen
weit offen, und ein königlicher Reif
von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich
aus des Hauptes offner Wunde.
Agamemnon! Vater!
Ich will dich sehn, lass mich heute nicht allein!
Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort
im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!
Vater! Agamemnon, dein Tag wird kommen! Von den Sternen
stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut
aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!
So wie aus umgeworfnen Krügen wird's
aus den gebunden Mördern fliessen,
und in einem Schwall, in einem
geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben
aus ihnen stürzen -- und wir schlachten dir
die Rosse, die im Hause sind, wir treiben
sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen
den Tod und wiehern in die Todesluft
und sterben, und wir schlachten dir die Hunde,
die dir die Füsse leckten, die mit dir gejagt, denen du
die Bissen hinwarfst, darum müss ihr Blut
hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir, wir,
dein Blut, dein Sohn Orest und deine Töchter,
wir drei, wenn alles dies vollbracht und Purpur-
gezelte aufgerichtet sind, vom Dunst
des Blutes, den die Sonne nach sich zieht,
dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab:
in begeistertem Pathos
und über Leichen hin werd' ich das Knie
hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden
so tanzen sehn, ja, die meinen Schatten
von weiten nur so werden tanzen sehn,
die werden sagen: einem grossen König
wird hier ein grosses Prunkfest angestellt
von seinem Fleisch und Blut, und glücklich ist,
wer Kinder hat, die um sein hohes Grab
so königliche Siegestänze tanzen!
Agamemnon! Agamemnon!
Chrysothemis die jüngere Schwester, steht in der Haustür.
Elektra!
Elektra fährt zusammen und starrt zuerst wie aus einem Traum erwachend auf Chrysothemis
Elektra
Ah, das Gesicht!
Chrysothemis steht an die Tür gedrückt.
Ist mein Gesicht dir so verhasst?
Elektra
Was willst du? Rede, sprich, ergiesse dich,
dann geh und lass mich!
Chrysothemis hebt wie abwehrend die Hände.
Elektra
Was hebst du die Hände?
So hob der Vater seine beiden Hände,
da fuhr das Beil hinab und spaltete
sein Fleisch. Was willst du, Tochter meiner Mutter,
Tochter Klytämnestras?
Chrysothemis
Sie haben etwas Fürchterlichtes vor.
Elektra
Die beiden Weiber?
Chrysothemis
Wer?
Elektra
Nun, meine Mutter
und jenes andre Weib, die Memme, ei,
Aegisth, der tapfre Meuchelmörder, er,
der Heldentaten nur im Bett vollführt.
Was haben sie denn vor?
Chrysothemis
Sie werfen dich
in einen Turm, wo du von Sonn' und Mond
das Licht nicht sehen wirst.
Elektra lacht.
Chrysothemis
Sie tun's, ich weiss es,
ich hab's gehört.
Elektra
Wie hast denn du
es hören können?
Chrysothemis
An der Tür, Elektra.
Elektra
Mach keine Türen auf in diesem Haus!
Gepresster Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten,
nichts andres gibt's in diesen Mauern.
Mach keine Türen auf! Schleich nicht herum.
Sitz an der Tür wie ich und wünsch den Tod
und das Gericht herbei auf sie und ihn.
Chrysothemis
Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren
wie du. Ich hab's wie Feuer in der Brust,
es treibt mich immerfort herum im Haus,
in keiner Kammer leidet's mich, ich muss
von einer Schwelle auf die andre, ach!
treppauf, treppab, mir ist, als rief' es mich,
und komm ich hin, so stiert ein leeres Zimmer
mich an. Ich habe soche Angst, mir zittern
die Knie bei Tag und Nacht, mir ist die Kehle
wie zugeschnürt, ich kann nicht einmal weinen,
wie Stein ist Alles! Schwester, hab Erbarmen!
Elektra
Mit wem?
Chrysothemis
Du bist es, die mit Eisenklammern
mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du,
sie liessen uns hinaus. Wär nicht dein Hass,
dein schlafloses, unbändiges Gemüt,
vor dem sie zittern, ah, so liessen sie
uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!
Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht
bis an den Tod hier schlafen! Eh ich sterbe,
will ich auch leben! Kinder will ich haben,
bevor mein Leib verwelkt, und wärs ein Bauer,
dem sie mich geben, Kinder will ich ihm
gebären und mit meinem Leib sie wärmen
in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte
zusammenschüttelt!
Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester!
Elektra
Armes
Geschöpf!
Chrysothemis
Hab Mitleid mit der selber und mit mir!
Wem frommt denn solche Qual?
Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim.
Immer sitzen wir auf der Stange
wie angehängte Vögel, wenden links
und rechts den Kopf und niemand kommt kein Bruder --
kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote
von einem Boten. Nichts -- Mit Messern
gräbt Tag um Tag in dein und mein Gesicht
sein Mal und draussen geht die Sonne auf
und ab, und Frauen, die ich schlank gekannt hab',
sind schwer von Segen, mühn sich zum Brunnen
heben kaum die Eimer, und auf einmal
sind sie entbunden ihrer Last kommen
zum Brunnen wieder und aus ihnen selber
quillt süsser Trank und säugend hängt ein Leben
an ihnen, und die Kinder werden gross --
Nein, ich bin
ein Weib und will ein Weiberschicksal.
Viel lieber tot als leben und nicht leben.
Sie bricht in heftiges Weinen aus
Elektra
Was heulst du? Fort, hinein! Dort ist dein Platz.
Es geht ein Lärm los. Stellen sie vielleicht
für dich die Hochzeit an? Ich hör sie laufen.
Das ganze Haus ist auf. Sie kreissen oder
sie morden. Wenn es an Leichen mangelt,
drauf zu schlafen, müssen sie doch morden!
Chrysothemis
Geh fort, verkriech dich! dass sie dich nicht sieht.
Stell dich ihr heut' nicht in den Weg: sie schickt
Tod aus jedem Blick. Sie hat geträumt.
Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, allmählich näher
Geh fort von hier. Sie kommen durch die Gänge.
Sie kommen hier vorbei. Sie hat geträumt:
Sie hat geträumt,
ich weiss nicht, was, ich hab' es von den Mägden gehört,
sie sagen, dass sie von Orest, von Orest geträumt hat,
dass sie geschrien hat aus ihrem Schlaf,
wie einer schreit, den man erwürgt.
Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür.
Chrysothemis
Sie kommen schon. Sie treibt die Mägde alle
mit Fackeln vor sich her. Sie schleppen Tiere
und Opfermesser. Schwester, wenn sie zittert,
ist sie am schrecklichsten, geh ihr nur heut,
nur diese Stunde geh aus ihrem Weg!
Elektra
Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter
zu reden wie noch nie!
An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein hastiger Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren, ein gedämpftes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschreien, das Niedersausen einer Peitsche, ein Aufraffen, ein Weitertaumeln.
Chrysothemis
Ich will's nicht hören.
Stürzt ab durch die Hoftür In dem breiten Fenster erscheint Klytämnestra. Ihr fahles, gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln, erscheint noch bleicher über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt sich auf eine Vertraute, die dunkelviolett gekleidet ist, und auf einen elfenbeinernen, mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe Gestalt, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Egypterin ähnlich, mit glattem Gesicht einer aufgerichteten Schlange gleichend, trägt ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt mit Edelsteinen und Talismanen, die Arme sind voll von Reifen, ihre Finger starren von Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen übermässig gross und es scheint ihr eine furchtbare Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten. Elektra richtet sich hoch auf Klytämnestra öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans Fenster und zeigt mit dem Stock auf Elektra.
Klytämnestra
Was willst du? Seht doch, dort! so seht doch das!
Wie es sich aufbäumt mit geblähtem Hals
und nach mir züngelt! und das lass ich frei
in meinem Hause laufen!
Wenn sie mich mit ihren Blicken töten könnte!
O Götter, warum liegt ihr so auf mir?
Warum verwüstet ihr mich so? warum
muss meine Kraft in mir gelähmt sein, warum
bin ich lebendigen Leibes wie ein wüstes
Gefild und diese Nessel wächst aus mir
heraus, und ich hab' nicht die Kraft zu jäten!
Warum geschieht mir das, ihr ew'gen Götter?
Elektra
Die Götter! bist doch selber eine Göttin!
bist, was sie sind.
Klytämnestra
Habt ihr gehört? habt ihr
verstanden, was sie redet?
Die Vertraute
Dass auch du
vom Stamm der Götter bist.
Die Schleppträgerin zischend:
Sie meint es tückisch.
Klytämnestra Klytämnestras schwere Augenlider fallen zu
Das klingt mir so bekannt. Und nur als hätt ich's
vergessen, lang und lang. Sie kennt mich gut.
Doch weiss man nie, was sie im Schilde führt.
Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander
Elektra nähert sich langsam Klytämnestra
Du bist nicht mehr du selber. Das Gewürm
hängt immerfort um dich. Was sie ins Ohr
dir zischen, trennt dein Denken fort und fort
entzwei, so gehst du hin im Taumel, immer
bist du als wie im Traum.
Klytämnestra
Ich will hinunter.
Lasst, lasst, ich will mit ihr reden.
Sie geht vom Fenster weg und erscheint mit ihren Begleiterinnen in der Türe von der Türschwelle aus
Sie ist heute
nicht widerlich. Sie redet wie ein Arzt.
Die Vertraute
Sie redet
nicht, wie sie's meint.
Die Schleppträgerin
Ein jedes Wort ist Falschheit.
Klytämnestra (auffahrend)
Ich will nichts hören. Was aus euch herauskommt,
ist nur der Atem des Aegisth.
Und wenn ich nachts euch wekke, redet ihr
nicht jede etwas andres? Schreist nicht du,
dass meine Augenlider angeschwollen
und meine Leber krank ist, und winselst
nicht du ins andre Ohr, dass du Dämonen
gesehen hast mit langen spitzen Schnäbeln,
die mir das Blut aussagen? zeigst du nicht
die Spuren mir an meinem Fleisch, und folg' ich
dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer
um Opfer? Zerrt ihr mich mit euren Reden
und Gegenreden nicht zu Tod? Ich will nicht
mehr hören: das ist wahr und das ist Lüge.
Was die Wahrheit ist, das bringt kein Mensch heraus.
Wenn sie zu mir redet, was mich zu hören freut,
so will ich horchen, auf was sie redet.
Wenn einer etwas Angenehmes sagt,
und wär' es meine Tochter, wär es die da,
will ich von meiner Seele alle Hüllen
abstreifen und das Fächeln sanfter Luft,
von wo es kommen mag, einlassen, wie
die Kranken tun, wenn sie der kühlen Luft,
am Teiche sitzend, abends ihre Beulen
und all ihr Eiterndes der kühlen Luft
preisgeben abends, und nichts andres denken,
als Linderung zu schaffen.
Lasst mich allein mit ihr.
Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln verschwinden und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten der beiden Frauen
Klytämnestra kommt herab
Klytämnestra
Ich habe keine guten Nächte. Weisst du
kein Mittel gegen Träume?
Elektra näher rückend
Träumst du, Mutter?
Klytämnestra
Wer älter wird, der träumt. Allein es lässt sich
vertreiben. Es gibt Bräuche.
Es muss für alles richtige Bräuche geben.
Darum bin ich so
behängt mit Steinen. Denn es wohnt in jedem
ganz sicher eine Kraft. Man muss nur wissen,
wie man sie nützen kann. Wenn du nur wolltest,
du könntest etwas sagen, das mir nützt.
Elektra
Ich, Mutter, ich?
Klytämnestra
Ja, du! denn du bist klug.
In deinem Kopf ist alles stark.
Du könntest vieles sagen, was mir nützt.
Wenn auch ein Wort nichts weiter ist! Was ist denn
ein Hauch! und doch kriecht zwischen Tag und Nacht,
wenn ich mit offnen Augen lieg', ein Etwas
hin über mich, es ist kein Wort, es ist
kein Schmerz, es drückt mich nicht, es würgt mich nicht,
nichts ist es, nicht einmal ein Alp, und dennoch
es ist so fürchterlich, dass meine Seele
sich wünscht, erhängt zu sein, und jedes Glied
in mir schreit nach dem Tod, und dabei leb' ich
und bin nicht einmal krank; du siehst mich doch:
seh' ich wie eine Kranke? Kann man denn
vergehn, lebend, wie ein faules Aas?
kann man zerfallen, wenn man garnicht krank ist?
zerfallen wachen Sinnes, wie ein Kleid,
zefressen von den Motten? Und dann schlaf' ich
und träume, träume! dass sich mir das Mark
in den Knochen löst, und taumle wieder auf,
und nicht der zehnte Teil der Wasseruhr
ist abgelaufen, und was unter'm Vorhang
hereingrinst, ist noch nicht der fahle Morgen, nein,
immer noch die Fackel vor der Tür,
die grässlich zuckt wie ein Lebendiges
und meinen Schlaf belauert.
Diese Träume müssen
ein Ende haben. Wer sie immer schickt:
ein jeder Dämon lässt von uns, sobald
das rechte Blut geflossen ist.
Elektra
Ein jeder!
Klytämnestra
Und müsst' ich jedes Tier, das kriecht und fliegt,
zur Ader lassen und im Dampf des Blutes
aufsteh'n und schlafen gehn wie die Völker
des letzten Thule in blutroten Nebel:
ich will nicht länger träumen.
Elektra
Wenn das rechte
Blutopfer unter'm Beile fällt, dann träumst du
nicht länger.
Klytämnestra
Also wüsstest du, mit welchem
geweihten Tier --
Elektra
Mit einem ungeweihten!
Klytämnestra
Das drin gebunden liegt?
Elektra
Nein! es läuft frei.
Klytämnestra
Und was für Bräuche?
Elektra
Wunderbare Bräuche,
und sehr genau zu üben.
Klytämnestra
Rede doch!
Elektra
Kannst du mich nicht erraten?
Klytämnestra
Nein, darum frag' ich.
Den Namen sag des Opfertiers.
Elektra
Ein Weib.
Klytämnestra hastig
Von meinen Dienerinnen eine sag!
ein Kind? ein jungfäuliches Weib? ein Weib,
das schon erkannt vom Manne?
Elektra
Ja! erkannt!
das ist's!
Klytämnestra
Und wie das Opfer? und welche Stunde,
und wo?
Elektra
An jedem Ort, zu jeder Stunde
des Tags und der Nacht.
Klytämnestra
Die Bräuche sag!
Wie brächt' ich's dar? ich selber muss --
Elektra
Nein. Diesmal
gehst du nicht auf die Jagd mit Netz und mit Beil.
Klytämnestra
Wer denn? wer brächt es dar?
Elektra
Ein Mann.
Klytämnestra
Aegisth?
Elektra lacht:
Ich sagte doch: ein Mann!
Klytämnestra
Wer? gib mir Antwort.
Vom Hause jemand? oder muss ein Fremder
herbei?
Elektra zu Boden stierend, wie abwesend:
Ja, ja, ein Fremder. Aber freilich
ist er vom Haus.
Klytämnestra
Gib mir nicht Rätsel auf.
Elektra, hör mich an. Ich freue mich,
dass ich dich heut einmal nicht störrisch finde.
Elektra
Lässt du den Bruder nicht nach Hause, Mutter?
Klytämnestra
Von ihm zu reden hab' ich dir verboten.
Elektra
So hast du Furcht vor ihm?
Klytämnestra
Wer sagt das?
Elektra
Mutter,
du zitterst ja!
Klytämnestra
Wer fürchtet sich
vor einem Schwachsinnigen.
Elektra
Wie?
Klytämnestra
Es heisst,
er stammelt, liegt im Hofe bei den Hunden
und weiss nicht Mensch und Tier zu unterscheiden.
Elektra
Das Kind war ganz gesund.
Klytämnestra
Es heisst, sie gaben
ihm schlechte Wohnung und Tiere
des Hofes zur Gesellschaft.
Elektra
Ah!
Klytämnestra mit gesenkten Augenlidern
Ich schickte
viel Gold und wieder Gold, sie sollten ihn
gut halten als ein Königskind.
Elektra
Du lügst!
Du schicktest Gold, damit sie ihn erwürgen.
Klytämnestra
Wer sagt dir das?
Elektra
Ich seh's an deinen Augen.
Allein an deinem Zittern seh' ich auch,
dass er noch lebt. Dass du bei Tag und Nacht
an nichts denkst als an ihn. Dass dir das Herz
verdorrt vor Grauen, weil du weisst: er kommt.
Klytämnestra
Was kümmert mich, wer ausser Haus ist.
Ich lebe hier und bin die Herrin. Diener
hab ich genug, die Tore zu bewachen,
und wenn ich will, lass ich bei Tag und Nacht
vor meiner Kammer drei Bewaffnete
mit offenen Augen sitzen. Und aus dir
bring' ich so oder so das rechte Wort
schon an den Tag. Du hast dich schon verraten,
dass du das rechte Opfer weisst und auch
die Bräuche, die mir nützen. Sagst du's nicht
im Freien, wirst du's an der Kette sagen.
Sagst du nicht satt, so sagst du's hungernd. Träume
sind etwas, das man los wird. Wer dran leidet
und nicht das Mittel findet, sich zu heilen,
ist nur ein Narr. Ich finde mir heraus,
wer bluten muss, damit ich wieder schlafe.
Elektra mit einem Sprung aus dem Dunkel auf sie zu, immer näher
an ihr, immer furchtbarer anwachsend:
Was bluten muss? Dein eigenes Genick,
wenn dich der Jäger abgefangen hat!
Ich hör ihn durch die Zimmer gehn, ich hör ihn
den Vorhang von dem Bette heben:
Wer schlachtet
ein Opfertier im Schlaf! Er jagt dich auf,
schreiend entfliehst du. Aber er, er ist hinterdrein,
er treibt dich durch das Haus! willst du nach rechts,
da steht das Bett! nach links, da schäumt das Bad
wie Blut! das Dunkel und die Fakkeln werfen
schwarzrote Todesnetze über dich --
Klytämnestra, von sprachlosem Grauen geschüttelt.
Hinab die Treppen durch Gewölbe hin,
Gewölbe und Gewölbe geht die Jagd
Und ich, ich, ich, ich, ich, die ihn dir geschickt,
ich bin wie ein Hund an deiner Ferse, willst du
in eine Höhle, spring ich dich von seitwärts
an. So treiben wir dich fort, bis eine Mauer
Alles sperrt, und dort -- im tiefsten Dunkel,
doch ich seh ihn wohl, ein Schatten, und doch Glieder
und das Weisse von einem Auge doch, da sitzt
der Vater, er achtet's nicht, und doch muss es geschehn,
zu seinen Füssen drücken wir dich hin.
Du möchtest schreien, doch die Luft erwürgt
den ungebornen Schrei und lässt ihn lautlos
zu Boden fallen, wie von Sinnen hälst du
den Nacken hin, fühlst schon die Schärfe zukken
bis an den Sitz des Lebens, doch er hält
den Schlag zurück: die Bräuche sind noch nicht erfüllt.
alles schweigt, du hörst dein eignes Herz
an deinen Rippen schlagen: diese Zeit
-- sie dehnt sich vor dir wie ein finstrer Schlund
von Jahren -- diese Zeit ist dir gegeben
zu ahnen, wie es Scheiternden zu Mute ist,
wenn ihr vergebliches Geschrei die Schwärze
der Wolken und des Tods zerfrisst, diese Zeit
ist dir gegeben, alle zu beneiden,
die angeschmiedet sind an Kerkermauern,
die auf dem Grund von Brunnen nach dem Tod
als wie nach Erlösung schrei'n -- denn du,
du liegst in deinem Selbst so eingekerkert,
als wär's der glühnde Bauch von einem Tier
von Erz -- und so wie jetzt kannst du nicht schrein!
da steh' ich
vor dir, und nun liest du mit starrem Aug'
das ungeheure Wort, das mir in mein
Gesicht geschrieben ist:
erhängt ist dir die Seele in der selbst-
gedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil,
und ich steh' da und seh' dich endlich sterben!
Dann träumst du nicht mehr, dann brauche ich
nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt,
der jauchzt und kann sich seines Lebens freun!
Sie stehn einander, Elektra in wilder Trunkenheit, Klytämnestra grässlich atmend vor Angst, Aug' in Aug'. In diesen Augenblick erhellt sich die Hausflur. die Vertraute kommt hergelaufen. Sie flüstert Klytämnestra etwas ins Ohr. Diese scheint erst nicht recht zu verstehen. Allmählich kommt sie zu sich. Sie winkt: Lichter! Es laufen Dienerinnen mit Fackeln heraus, und stellen sich hinter Klytämnestra. Sie winkt: Mehr Lichter! Nun verändern sich ihre Züge allmählich und die Spannung weicht einem bösen Triumph. Es kommen immer mehr Dienerinnen heraus, stellen sich hinter Klytämnestra, so dass der Hof voll von Licht wird und rotgelber Schein um die Mauern flutet. Klytämnestra lässt sich die Botschaft abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick aus dem Auge. Ganz bis an den Hals sich sättigend mit wilder Freude, streckt Klytämnestra die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig, an den Stufen ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen mit den Lichtern, wie gejagt, hinter ihr drein.
Elektra
Was sagen sie ihr denn? sie freut sich ja!
Mein Kopf! Mir fällt nichts ein. Worüber freut sich
das weib?
Chrysothemis kommt, laufend, zur Hoftür herein, laut heulend wie ein verwundetes Tier.
Chrysothemis schreiend:
Orest!
Orest ist tot!
Elektra winkt ihr ab, wie von Sinnen:
Sei still!
Chrysothemis
Orest ist tot!
Elektra bewegt die Lippen.
Chrysothemis
Ich kam hinaus, da wussten sie's schon! Alle
standen herum und alle wussten es schon,
nur wir nicht.
Elektra
Niemand weiss es.
Chrysothemis
Alle wissen's!
Elektra
Niemand kann's wissen: denn es ist nicht wahr.
Chrysothemis wirft sich verzweifelt auf den Boden.
Elektra Chrysothemis emporreissend
Es ist nicht wahr!
Es ist nicht wahr! ich sag' dir doch!
es ist nicht wahr!
Chrysothemis
Die Fremden standen an der Wand, die Fremden,
die hergeschickt sind, es zu melden: zwei,
ein Alter und ein Junger. Allen hatten
sie's schon erzählt, im Kreise standen alle
um sie herum und alle, Alle, wussten es schon.
Elektra mit höchster Kraft
Es ist nicht wahr.
Chrysothemis
An uns denkt niemand. Tot! Elektra, tot!
Gestorben in der Fremde! Tot! Gestorben
dort in fremdem Land. Von seinen Pferden
erschlagen und geschleift.
Ein junger Diener kommt eilig aus dem Haus, stolpert über die vor der Schwelle Liegende hinweg:
Platz da! wer lungert so vor einer Tür?
Ah, konnt' mir's denken! Heda, Stallung! he!
Ein alter Diener finsteren Gesichts, zeigt sich an der Hoftür:
Was soll's im Stall?
Ein junger Diener
Gesattelt
soll werden, und so rasch als möglich! hörst du?
ein Gaul, ein Maultier, oder meinetwegen
auch eine Kuh, nur rasch!
Ein alter Diener
Für wen?
Ein junger Diener
Für den,
der dir's befiehlt. Da glotzt er! Rasch, für mich!
Sofort! für mich! Trab, trab! Weil ich hinaus muss
auf's Feld, den Herren holen, weil ich ihm
Botschaft zu bringen habe, grosse Botschaft,
wichtig genug, um eine eurer Mähren
im Abgehen
zu Tod zu reiten.
Ein alter Diener auch der Alte verschwindet.
Elektra vor sich hin, leise und sehr energisch:
Nun muss es hier von uns geschehn.
Chrysothemis verwundert fragend
Elektra?
Elektra
Wir!
Wir beide müssen's tun.
Chrysothemis
Was, Elektra?
Elektra
Am besten heut', am besten diese Nacht.
Chrysothemis
Was, Schwester?
Elektra
Was? Das Werk, das nun auf uns
gefallen ist, weil er nicht kommen kann
Chrysothemis angstvoll steigernd
Was für ein Werk?
Elektra
Nun müssen du und ich
hingehn und das Weib und ihren Mann
erschlagen.
Chrysothemis
Schwester, sprichst du von der Mutter?
Elektra
Von ihr. Und auch von ihm. Ganz ohne Zögern
muss es geschehn.
Elektra
Schweig still. Zu sprechen ist nichts.
Nichts gibt es zu bedenken, als nur: wie?
wie wir es tun.
Chrysothemis
Ich?
Elektra
Ja. Du und ich.
Wer sonst?
Chrysothemis
Wir, wir beide sollen hingehn? Wir? wir zwei?
mit unsern beiden Händen?
Elektra
Dafür lass
du mich nur sorgen.
Elektra
Das Beil! das Beil, womit der Vater --
Chrysothemis
Du?
Entsetzliche, du hast es?
Elektra
Für den Bruder
bewahrt' ich es. Nun müssen wir es schwingen.
Chrysothemis
Du? diese Arme den Aegisth erschlagen?
Elektra
erst sie, dann ihn, erst ihn, dann sie, gleichviel.
Chrysothemis
Ich fürchte mich.
Elektra
Es schläft niemand in ihrem Vorgemach.
Chrysothemis
Im schlaf sie morden!
Elektra
Wer schläft, ist ein gebundnes Opfer. Schliefen
sie nicht zusamm', könnt' ich's allein vollbringen.
So aber musst du mit.
Chrysothemis abwehrend:
Elektra!
Elektra
Du! Du!
denn du bist stark!
Dicht bei Chrysothemis
Wie stark du bist! dich haben
die jungfräulichen Nächte stark gemacht.
Überall ist so viel Kraft in dir! Sehnen
hast du wie ein Füllen. Schlank sind deine Füsse.
Wie schlank und biegsam leicht umschling ich sie deine Hüften sind!
Du windest dich durch jeden Spalt, du hebst dich
durch's Fenster! Lass mich deine Arme fühlen:
wie kühl und stark sie sind! Wie du mich abwehrst,
fühl' ich, was das für Arme sind. Du könntest
erdrükken, was du an dich ziehst. Du könntest
mich, oder einen Mann in deinen Armen
erstikken, Überall
ist so viel Kraft in dir! Sie strömt wie kühles
verhaltnes Wasser aus dem Fels. Sie flutet
mit deinen Haaren auf die starken Schultern
herab.
Ich spüre durch die Kühle deiner Haut
das warme Blut hindurch, mit meiner Wange
spür ich den Flaum auf deinen jungen Armen.
Du bist voller Kraft, du bist schön,
du bist wie eine Frucht an der Reife Tag.
Chrysothemis
Lass mich!
Elektra
Nein: ich halte dich!
Mit meinen traurigen verdorrten Armen
umschling ich deinen Leib, wie du dich sträubst,
ziehst du den Knoten nur noch fester, ranken
will ich mich rings um dich versenken meine Wurzeln
in dich und mit meinem Willen
dir impfen das Blut!
Chrysothemis
Lass mich!
Flüchtet ein paar Schritte
Elektra wild ihr nach, fasst sie am Gewand:
Nein!
Elektra
Ich lass dich nicht.
Chrysothemis
Elektra, hör mich.
Du bist so klug, hilf uns aus diesem Haus,
hilf uns ins Freie. Elektra, hilf uns,
hilf uns in's Freie...
Elektra
Von jetzt an will ich deine Schwester sein,
so wie ich niemals deine Schwester war!
Getreu will ich mit dir in deiner Kammer sitzen
und warten auf den Bräutigam, für ihn
will ich dich salben und ins duftige Bad
sollst du mir tauchen wie der junge Schwan
und deinen Kopf an meiner Brust verbergen
bevor er dich, die durch die Schleier glüht
wie eine Fakkel, in das Hochzeitsbett
mit starken Armen zieht.
Chrysothemis schliesst die Augen:
Nicht, Schwester, nicht.
Sprich nicht ein solches Wort in diesem Haus.
Elektra
O ja! weit mehr als Schwester bin ich dir
von diesem Tage an: ich diene dir
wie deine Sklavin. Wenn du liegst in Weh'n,
sitz ich an deinem Bette Tag und Nacht,
wehr' dir die Fliegen, schöpfe kühles Wasser,
und wenn auf einmal auf dem nackten Schoss
dir ein Lebendiges liegt, erschreckend fast,
so heb' ich's empor, so hoch! damit
sein Lächeln hoch von oben in die tiefsten
geheimsten Klüfte deiner Seele fällt
und dort das letzte, eisig Grässliche
vor dieser Sonne schmilzt und du's in hellen
Tränen ausweinen kannst.
Chrysothemis
O bring' mich fort!
Ich sterb' in diesem Haus!
Elektra an den Knieen der Chrysothemis:
Dein Mund ist schön,
wenn er sich einmal auftut um zu zürnen!
Aus deinem reinen starken Mund muss furchtbar
ein Schrei hervorsprüh'n, furchtbar wie der Schrei
der Todesgöttin, wenn man unter dir
so daliegt, wie nun ich.
Chrysothemis
Was redest du?
Elektra aufstehend:
Denn eh du diesem Haus
und mir entkommst, musst du es tun!
Chrysothemis will reden.
Elektra hält ihr den Mund zu
Dir führt
kein Weg hinaus als der. Ich lass' dich nicht,
eh du mir Mund auf Mund es zugeschworen,
dass du es tun wirst.
Chrysothemis windet sich los:
Lass mich!
Elektra fasst sie wieder:
Schwör', du kommst
heut Nacht, wenn alles still ist, an den Fuss
der Treppe.
Chrysothemis
Lass mich!
Elektra hält sie am Gewand:
Mädchen, sträub' dich nicht!
es bleibt kein Tropfen Blut am Leibe haften:
schnell schlüpfst du aus dem blutigen Gewand
mit reinem Leib ins hochzeitliche Hemd.
Chrysothemis
Lass mich!
Elektra
Sei nicht zu feige! Was du jetzt
an Schaudern überwindest, wird vergolten
mit Wonneschaudern Nacht für Nacht --
Chrysothemis
Ich kann nicht!
Elektra
Sag, dass du kommen wirst!
Chrysothemis
Ich kann nicht!
Elektra
Sieh,
ich lieg' vor dir, ich küsse deine Füsse!
Chrysothemis ins Haustor entspringend:
Ich kann nicht!
Elektra
Sei verflucht!
mit wilder Entschlossenheit
Nun denn allein!
Sie fängt an der Wand des Hauses, seitwärts der Türschwelle, eifrig zu graben an, lautlos, wie ein Tier. Elektra hält mit Graben inne, sieht sich um, gräbt wieder. Elektra sieht sich von Neuem um und lauscht. Elektra gräbt wieder. Orest steht in der Hoftür, von der letzten Helle sich schwarz abhebend. Er tritt herein. Elektra blickt auf ihn. Er dreht sich langsam um, so dass sein Blick auf sie fällt. Elektra fährt heftig auf.
Elektra zitternd
Was willst du, fremder Mensch? was treibst du dich
zur dunklen Stunde hier herum, belauerst,
was andre tun!
Ich hab' hier ein Geschäft. Was kümmert's dich!
v
Lass mich in Ruh!
Orest
Ich muss hier warten.
Elektra
Warten?
Orest
Doch du bist
hier aus dem Haus? bist eine von den Mägden
dieses Hauses?
Elektra
Ja, ich diene hier im Haus.
Du aber hast hier nichts zu schaffen. Freu dich
und geh.
Orest
Ich sagte dir, ich muss hier warten,
bis sie mich rufen
Elektra
Die da drinnen?
Du lügst. Weiss ich doch gut, der Herr ist nicht zu Haus'.
Und sie, was sollte sie mit dir?
Orest
Ich und noch einer,
der mit mir ist, wir haben einen Auftrag
an die Frau.
Orest
Wir sind an sie geschickt,
weil wir bezeugen können, dass ihr Sohn
Orest gestorben ist vor unsern Augen.
Denn ihn erschlugen seine eignen Pferde.
Ich war so alt wie er und sein Gefährte
bei Tag und Nacht.
Elektra
Muss ich dich
noch sehn? Schleppst du dich hierher
in meinen traurigen Winkel,
Herold des Unglücks! Kannst du nicht die Botschaft
austrompeten dort, wo sie sich freu'n!
Dein Aug' da starrt mich an und seins ist Gallert.
Dein Mund geht auf und zu und seiner ist
mit Erde vollgefropft.
Du lebst, und er, der besser war als du
und edler tausendmal, und tausendmal
so wichtig, dass er lebte. er ist hin!
Orest
Lass den Orest. Er freute sich zu sehr
an seinem Leben, die Götter droben
vertragen nicht den allzuhellen Laut
der Lust. So musste er denn sterben.
Elektra
Doch ich! doch ich! da liegen, und
zu wissen, dass das Kind nie wieder kommt,
nie wieder kommt. Dass das Kind da drunten
in den Klüften des Grausens lungert,
dass die da drinnen leben und sich freuen,
dass dies Gezücht in seiner Höhle lebt
und isst und trinkt und schläft und ich hier droben
wie nicht das Tier des Waldes einsam
und grässlich lebt ich hier droben allein.
Orest
Wer bist denn du?
Elektra
Was kümmert's
dich, wer ich bin.
Orest
du musst verwandtes Blut zu denen sein,
die starben, Agamemnon und Orest.
Elektra
Verwandt? ich bin dies Blut! ich bin das hündisch
vergossene Blut des Königs Agamemnon!
Elektra heiss' ich.
Orest
Nein!
Elektra
Er leugnet's ab.
Er bläst auf mich und nimmt mir meinen Namen.
Orest
Elektra!
Elektra
Weil ich nicht Vater hab',
Orest
Elektra!
Elektra
noch Bruder,
bin ich der Spott der Buben!
Orest
Elektra! Elektra!
So seh' ich sie? ich seh' sie wirklich? du?
So haben sie dich darben lassen oder --
sie haben dich geschlagen?
Elektra
Lass mein Kleid, wühl nicht mit deinem Blick daran.
Orest
Was haben sie gemacht mit deinen Nächten!
Furchtbar sind deine Augen.
Elektra
Lass mich!
Orest
hohl sind deine Wangen!
Elektra
Geh ins Haus,
drin hab' ich eine Schwester, die bewahrt sich
für Freudenfeste auf!
Orest
Elektra, hör mich.
Elektra
Ich will nicht wissen, wer du bist.
Ich will niemand sehen!
Orest
Hör mich an, ich hab' nicht Zeit. Hör zu.
Orestes lebt.
Elektra wirft sich herum.
Orest
Wenn du dich regst,
verrätst du ihn.
Elektra
So ist er frei? wo ist er?
Orest
Er ist unversehrt
wie ich.
Elektra
So rett ihn doch! bevor sie ihn
erwürgen.
Orest
Bei meines Vaters Leichnam! dazu kam ich her!
Elektra von seinen Ton getroffen:
Wer bist denn du?
Der alte finstre Diener stürzt, gefolgt von drei andern Dienern, aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küsst seine Füsse, die andern Orests Hände und den Saum seines Gewandes.
Elektra kaum ihrer mächtig:
Wer bist du denn? Ich fürchte mich.
Orest sanft:
Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,
und meine Schwester nicht?
Elektra aufschreiend:
Orest!
Elektra ganz leise, bebend:
Orest! Orest! Orest!
Es rührt sich niemand. O lass deine Augen
mich sehn! Traumbild, mir geschenktes
Traumbild, schöner als alle Träume.
Hehres, unbegreifliches, erhabenes Gesicht,
o bleib bei mir! Lös nicht
in Luft dich auf, vergeh mir nicht, vergeh mir nicht,
es sei denn, das ich jetzt gleich
sterben muss und du dich anzeigst
und mich hollen kommst: dann sterb ich
seliger als ich gelebt. Orest! Orest! Orest!
Nein, du sollst mich nicht umarmen!
Tritt weg, ich schäme mich vor dir. Ich weiss nicht,
wie du mich ansiehst.
Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,
mein armes Kind. Ich weiss, es schaudert dich
vor mir. Und war doch eines Königs Tochter!
Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe
ausblies vor meinem Spiegel, fühlt ich
es mit keuschem Schauer.
Ich fühlt' es, wie der dünne Strahl des Mondes
in meines Körpers weisser Nacktheit badete
so wie in einem Weiher, und mein Haar
war solches Haar, vor dem die Männer zittern,
dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt,
verstehst du's, Bruder? Ich habe alles, was ich war,
hingeben müssen. Meine Scham hab' ich geopfert,
die Scham, die süsser als Alles ist, die Scham,
die wie der Silberdunst, der milchige des Monds,
um jedes Weib herum ist und das Grässliche
von ihr und ihrer Seele weghält,
Verstehst du's, Bruder! diese süssen Schauder
hab' ich dem Vater opfern müssen. Meinst du,
wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen
seine Seufzer, drang nicht sein Stöhnen
an mein Bette? Eifersüchtig sind
die Toten: und er schickte mir den Hass,
den hohläugigen Hass als Bräutigam.
So bin ich eine Prophetin immerfort gewesen
und habe nichts hervorgebracht aus mir
und meinem Leib als Flüche und Verzweiflung.
Was schaust du ängstlich um dich? sprich zu mir!
sprich doch! Du zitterst ja am ganzen Leib!
Orest
Lass zittern diesen Leib.
Er ahnt welchen Weg ich ihn führe.
Elektra
Du wirst es tun? Allein? Du armes Kind.
Orest
Die diese Tat mir auferlegt,
Elektra
Du wirst es tun!
Orest
die Götter, werden da sein, mir zu helfen.
Ich will es tun,
ich will es eilig tun.
Elektra
Der ist selig,
der tun darf! Die Tat ist wie ein Bette,
auf dem die Seele ausruht, wie ein Bett
von Balsam, drauf die Seele ruhen kann,
die eine Wunde ist, ein Brand, ein Eiter
und eine Flamme!
Orest
Ich werde es tun! Ich werde es tun!
Elektra
Der ist selig, der seine Tat zu tun kommt,
selig der, der ihn ersehnt, selig der ihn erschaut!
Selig, wer ihn erkennt, selig, wer ihn berührt!
Selig, wer ihm das Beil aus der Erde gräbt,
selig, wer ihm die Fakkel hält, selig,
selig, wer ihm öffnet die Tür.
Der Pfleger Orests steht in der Hoftür, ein starker Greis mit blitzenden Augen.
Der Pfleger des Orest
Seid ihr von Sinnen, dass ihr euren Mund
nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts
uns und das Werk verderben kann --
Der Pfleger des Orest Zu Orest in fliegender Eile
Sie wartet drinnen. Ihre Mägde suchen
nach dir. Es ist kein Mann im Haus. Orest!
Orest *reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend Die Tür des Hauses erhellt sich. Es erscheint eine Dienerin mit einer Fackel, hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen, steht im Dunkel. Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden, winkt, ihr hinein zu folgen. Die Dienerin befestigt die Fackel an einem eisernen Ring im Türpfosten. Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest schliesst einen Augenblick, schwindelnd, die Augen, der Pfleger ist dicht hinter ihm, sie tauschen einen schnellen Blick. Die Tür schliesst sich hinter ihnen.
Elektra allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich
vor der Tür hin und her, mit gesenkten Kopf, wie das gefangene Tier
im Käfig.
steht plötzlich still
Ich habe ihm das Beil nicht geben können!
Sie sind gegangen und ich habe ihm
das Beil nicht geben können. Es sind keine
Götter im Himmel!
Abermals ein furchtbares Warten. Von ferne tönt drinnen,
gellend, der Schrei Klytämnestras.
Elektra schreit auf wie ein Dämon:
Triff noch einmal!
Von drinnen ein zweiter Schrei. Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen heraus.
Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepresst.
Chrysothemis
Es muss etwas geschehen sein.
I. Magd
Sie schreit
so aus dem Schlaf.
II. Magd
Es müssen Männer drin sein.
Ich habe Männer gehen hören.
III. Magd
Alle
Türen sind verriegelt.
IV. Magd
Es sind Mörder!
Es sind Mörder im Haus!
I. Magd schreit auf:
Oh!
II. Magd, III. Magd, 6 andere Dienerinnen
Was ist?
I. Magd
Seht ihr denn nicht: dort in der Tür steht einer!
Chrysothemis
Das ist Elektra! das ist ja Elektra!
I. - IV. Magd
Elektra, Elektra!
I., II. Magd
Warum spricht sie denn nicht?
Chrysothemis
Elektra,
warum sprichst du denn nicht?
IV. Magd
Ich will hinaus
und Männer holen.
Läuft rechts hinaus
Chrysothemis
Mach uns doch die Tür auf,
Elektra! Elektra!
6 Dienerinnen
Elektra, lass uns in's Haus!
IV. Magd zurückkommend:
Zurück!
IV. Magd
Aegisth! Zurück in unsre Kammern! schnell!
Aegisth kommt durch den Hof! Wenn er uns findet
und wenn im Hause was geschehen ist,
lässt er uns töten.
6 Dienerinnen
Aegisth!
I. - III. Mägde
Aegisth!
Chrysothemis
Zurück!
Alle
zurück! zurück!
Sie verschwinden im Hause links. Aegisth tritt rechts durch die Hoftür auf.
Aegisth an der Tür stehend bleibend:
He! Lichter! Lichter!
Ist niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner
von allen diesen Schuften? Kann das Volk
mir keine Zucht annehmen!
Elektra nimmt die Fackel von dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen, und verneigt sich vor ihm.
Aegisth erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht, weicht zurück:
Was ist das für ein unheimliches Weib?
Ich hab' verboten, dass ein unbekanntes
Gesicht mir in die Nähe kommt!
Erkennt sie, zornig.
Was, du?
Wer heisst dich, mir entgegentritten?
Elektra
Darf ich
nicht leuchten?
Aegisth
Nun, dich geht die Neuigkeit
ja doch vor allen an. Wo find' ich
die fremden Männer, die das von Orest
uns melden?
Elektra
Drinnen. Eine liebe Wirtin
fanden sie vor, und sie ergetzen sich
mit ihr.
Aegisth
Und melden also wirklich, dass er
gestorben ist, und melden so, dass nicht
zu zweifeln ist?
Elektra
O Herr, sie melden's nicht
mit worten blos, nein, mit leibhaftigen Zeichen,
an denen auch kein Zweifel möglich ist.
Aegisth
Was hast du in der Stimme? Und was ist
in dich gefahren, dass du nach dem Mund
mir redest? Was taumelst du so hin
und her mit deinem Licht!
Elektra
Es ist nichts anderes,
als dass ich endlich klug ward und zu denen
mich halte, die die Stärkern sind. Erlaubst du,
dass ich voran dir leuchte?
Aegisth etwas zaudernd
Bis zur Tür.
Was tanzest du? Gib Obacht.
Elektra indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist, sich plötzlich tief bückend:
Hier! die Stufen,
dass du nicht fällst.
Aegisth an der Haustür:
Warum ist hier kein Licht?
Wer sind die dort?
Elektra
Die sind's, die in Person
dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich,
die so oft durch freche unbescheidne Näh'
dich störte, will nun endlich lernen, mich
im rechten Augenblick zurückzuziehen.
Aegisth geht ins Haus. Stille. Lärm drinnen.
Aegisth erscheint an einem kleinen Fenster, reisst den Vorhang weg, schreiend:
Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder, Mörder!
Sie morden mich!
Hört mich niemand? hört
mich niemand?
Er wird weggezerrt. Noch einmal erscheint Aegisths Gesicht am Fenster.
Elektra reckt sich auf:
Agamemnon hört dich!
Aegisth er wird fortgerissen:
Weh mir!
Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt. Die Frauen kommen von links herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen. Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie plötzlich Halt, wenden sich.
Chrysothemis
Elektra! Schwester! komm mit uns! O komm
mit uns! es ist der Bruder drin im Haus!
es ist Orest, der es getan hat!
Stimmen hinter der Scene im Hause
Orest! Orest! Orest!
Getümmel im Hause, Stimmengewirr, aus dem sich ab und zu die Rufe des Chors: "Orest" bestimmter abheben.
Komm!
Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn,
und küssen seine Füsse, alle, die
Aegisth von Herzen hassten, haben sich
geworfen auf die andern, überall
in allen Höfen liegen Tote, alle,
die leben, sind mit Blut bespritzt und haben
selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle
umarmen sich --
Draussen wachsender Lärm, der sich jedoch, wenn Elektra beginnt, mehr
und mehr nach den äusseren Höfen rechts und im Hintergrunde verzogen hat.
die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis allein, von draussen fällt
Licht herein.
und jauchzen, tausend Fackeln
sind angezündet. Hörst du nicht, so hörst du
denn nicht?
Elektra auf der Schwelle kauernd:
Ob ich nicht höre? ob ich die
Musik nicht höre? sie kommt doch aus mir.
Die Tausende, die Fackeln tragen
und deren Tritte, deren uferlose
Myriaden Tritte überall die Erde
dumpf dröhnen machen, alle warten
auf mich: ich weiss doch, dass sie alle warten,
weil ich den Reigen führen muss, und ich
kann nicht, der Ozean, der ungeheure,
der zwanzigfache Ozean begräbt
mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich
nicht heben!
Chrysothemis fast schreiend vor Erregung:
Hörst du denn nicht, sie tragen ihn,
sie tragen ihn auf ihren Händen,
Elektra springt auf vor sich hin, ohne auf Chrysothemis zu achten
Wir sind bei den Göttern, wir Vollbringenden.
Sie fahren dahin wie die Schärfe des Schwerts
durch uns, die Götter,
Chrysothemis
allen
sind die Gesichter verwandelt, allen
schimmern die Augen und die alten Wangen
von Tränen! Alle weinen, hörst du's nicht?
Elektra
aber ihre Herrlichkeit
ist nicht zu viel für uns! Ich habe Finsternis
gesät und ernte Lust über Lust.
Chrysothemis
Gut sind die Götter,
gut!
Elektra
Ich war ein schwarzer Leichnam unter Lebenden,
Chrysothemis
Es fängt ein Leben für dich und mich und alle Menschen an.
Elektra
und diese Stunde bin ich das Feuer des Lebens,
und meine Flamme verbrenn die Finsternis der Welt.
Chrysothemis
Die über schwänglich guten Götter sind's,
die das geben haben.
Elektra
Mein Gesicht muss weisser sein
als das weissglüh'nde Gesicht des Monds.
Chrysothemis
Wer hat uns je geliebt?
Elektra
Wenn einer auf mich sieht,
muss er den Tod empfangen oder muss vergehn
vor Lust.
Chrysothemis
Wer hat uns je geliebt?
Elektra
Seht ihr
denn mein Gesicht? Seht ihr das Licht,
das von mir ausgeht?
Chrysothemis
Nun ist der Bruder da,
und Liebe fliesst über uns wie Öl und Myrrhen.
Liebe ist Alles! Wer kann leben ohne Liebe?
Elektra
Ai! Liebe tötet, aber keiner fährt dahin
und hat die Liebe nicht gekannt!
Chrysothemis
Elektra,
ich muss bei meinem Bruder stehn!
Sie läuft hinaus. Elektra schreitet von der Schwelle herunter. Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach vorwärts schreitet.
Chrysothemis erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng, Gesichter von Männern und Frauen: Elektra!
Elektra bleibt stehen, sieht starr auf sie hin:
Schweig, und tanze. Alle müssen
herbei! hier schliesst euch an! Ich trage die Last
des Glükkes, und ich tanze vor euch her.
Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins:
schweigen und tanzen!
Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes … Elektra stürzt zusammen.
Chrysothemis zu ihr. Elektra liegt starr. Chrysothemis läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran: Orest! Orest!
Stille. Vorhang.